Zum Hauptinhalt springen
Erhöhen: Alt + + Verringern: Alt + - Zurücksetzen: Alt + 0

Was kann ich tun, wenn ich Antisemitismus wahrnehme? 

1. Grundlage und Haltung

Bei antisemitischen Vorfällen ist nicht die Intention der handelnden Person maßgeblich, sondern die Wirkung auf die Betroffenen.

 

  • Antisemitismus ist nicht nur ein Vorurteil oder eine abstrakte Einstellung, sondern ein emotional aufgeladenes Ressentiment, eine Ideologie und auch eine Form von Gewalt.

     

  • Antisemitische Sprachhandlungen sind nie neutral – sie wirken verletzend, entwürdigend und ausgrenzend, unabhängig davon, ob dies beabsichtigt war. Das Ausbleiben einer empathischen Reaktion sowie eine zögerliche oder gar fehlende Intervention verweigert den Betroffenen eine wichtige Ressource: Schutz, Sicherheit und das Gefühl von Geborgenheit. Eine institutionelle Nicht-Reaktion verstärkt die Wirkung antisemitischer Handlungen zusätzlich.

     

  • Ein zentraler Aspekt im Umgang mit Diskriminierung und Gewalt ist die bewusste Hinwendung zu den Betroffenen. Diese Perspektive wird in institutionellen Kontexten jedoch häufig übersehen oder vernachlässigt, obwohl sie für Schutz, Anerkennung und Aufarbeitung unerlässlich ist.

2. Formen antisemitischer Gewalt

 

Physische antisemitische Gewalt

  • Körperliche Angriffe auf Jüdinnen und Juden (z. B. Schläge, Tritte, tätliche Übergriffe)
  • Anschläge auf Personen, Institutionen oder jüdische Einrichtungen (z. B. Synagogen, Friedhöfe, Schulen, Kulturzentren)
  • Sachbeschädigungen oder Brandanschläge auf jüdisches Eigentum
  • Bedrohungen mit lebensgefährlichen Gegenständen

 

Verbale antisemitische Gewalt

  • Witze und verhöhnende Kommentare über Jüdinnen und Juden oder die Shoah
  • Das Verwenden antisemitischer Schimpfwörter, Stereotype oder Spottformeln
  • Schuldzuweisungen oder Unterstellungen („die Juden sind schuld an …“)
  • Offene oder verdeckte Holocaustleugnung und -relativierung
  • Diffamierende Aussagen über den Staat Israel (z. B. Dämonisierung, Delegitimierung)
  • Hetzreden, Drohbriefe oder aggressive Parolen im öffentlichen Raum oder Internet

 

Raumgreifende, visuelle und kommunikative Gewalt

  • Antisemitische Schmierereien, Parolen oder Graffiti
  • Verwendung von antisemitischen Symbolen oder Codes
  • Verbreitung antisemitischer Inhalte

 

Psychische und emotionale Gewalt

  • Einschüchterung, Ausgrenzung oder Bedrohung durch antisemitische Äußerungen
  • Wiederholte Mikroaggressionen („Das war doch nur Spaß“)
  • Gaslighting: Leugnen oder Verharmlosen antisemitischer Vorfälle
  • Ausgrenzung Verdächtigung, Mobbing

 

Digitale Gewalt (Cybergewalt)

  • Beleidigungen, Diffamierungen oder Bloßstellungen in Chats und sozialen Medien
  • Verbreitung von Fotos, Videos oder privaten Informationen ohne Einverständnis
  • Cybermobbing, Online-Hetze, digitale Belästigung
  • Ausgrenzung aus Online-Gruppen oder Klassenchats

 

Psychische und emotionale Gewalt

  • Einschüchterung, Ausgrenzung oder Bedrohung durch antisemitische Äußerungen
  • Wiederholte Mikroaggressionen („Das war doch nur Spaß“)
  • Gaslighting: Leugnen oder Verharmlosen antisemitischer Vorfälle

 

Strukturelle Gewalt

  • Ungleiche Teilhabe oder mangelnde Repräsentanz jüdischer Perspektiven und Bedarfe
  • Bagatellisierung oder Ignorieren antisemitischer Erfahrungen und  Beschwerden
  • Tolerierung antisemitischer Äußerungen oder Symbole ohne Konsequenzen

Fallbeispiele

  • Ein Schüler wird wiederholt als „Jude“ beschimpft, wenn er sich meldet oder gute Noten erhält. Lehrkräfte greifen zunächst nicht ein.
  • In der Pause machen Jugendliche Witze über den Holocaust („War doch nur ein Witz“). Die betroffene Schülerin zieht sich zunehmend zurück.
  • Ein Lehrer relativiert antisemitische Aussagen im Unterricht („Man muss ja auch Israels Politik kritisch sehen dürfen“) – ohne den erkennbaren Kontext oder Grund.
  • Auf dem Schulhof werden Davidsterne und Hakenkreuze an die Wände gemalt. Betroffene jüdische Kinder fühlen sich bedroht.
  • Eine jüdische Lehrerin findet regelmäßig antisemitische Schmierereien an ihrer Tür; trotz mehrfacher Meldung erfolgt keine klare Intervention.
  • Ein Schüler trägt offen rechtsextreme Symbolik (Reichskriegsflagge, Zahlencodes) – die Schulleitung reagiert zögerlich.
  • Im Politikunterricht werden Verschwörungserzählungen über Israel oder „jüdische Macht“ unkommentiert diskutiert.
  • Bei Debatten über Nahostkonflikte wird von Lernenden oder Lehrkräften der Eindruck vermittelt, „jüdische Schüler müssten sich für Israels Politik rechtfertigen“.
  • Antisemitische Stereotype („die Reichen“, „die Medien gehören denen“) werden in Gesprächen oder Projekten reproduziert, ohne pädagogische Korrektur.
  • Beschwerden durch jüdische Lernende über antisemitische Beleidigungen werden als „persönliche Konflikte“ abgetan.
  • Die Schule verzichtet auf eine Aufarbeitung nach einem antisemitischen Vorfall.
  • Sicherheitsbedenken jüdischer Eltern werden nicht ernst genommen.

3. Interventionsschritte für Schulen

Pädagogische Verantwortung aktiv gestalten: Betroffene schützen, Vorfälle klar benennen, dokumentieren und bearbeiten.

  • Betroffenenschutz: Validierung und Unterstützung von Betroffenen
  • Unterbrechung der Gewalthandlung: Eindeutiges Stoppsignal setzen, klarmachen, dass antisemitische Bemerkungen oder Handlungen nicht toleriert werden.
  • Kontextualisierung: Einordnung eines Falls als Ausdruck antisemitischer Strukturen
  • Ressourcenaktivierung: Aufzeigen von Handlungsmöglichkeiten innerhalb der Schule; ggf. Kooperation mit externen Beratungsnetzwerken; Supervision
  • Pädagogische Intervention: Thematisierung von Antisemitismus; Entwicklung von Regeln
  • Strukturelle Ebene: Aufarbeitung des Falls entlang der Verantwortung der Schule nach Schulgesetzgebung und Antidiskriminierungsrichtlinien; Entwicklung eines Schutz- und Interventionskonzepts; Schulinterne Fortbildung für Lehrkräfte zum Erkennen und Handeln bei antisemitischen Vorfällen; Einbindung der Schulsozialarbeit und ggf. der Elternvertretung
  • Schulleitung und andere schulinterne Gremien informieren/einbeziehen: Schul-/Einrichtungsregeln prüfen: Sind Schutz- und Interventionsmechanismen ausreichend klar verankert?
  • Kooperation mit externen Beratungsstellen: Beratungsstellen (z.B. OFEK e.V. Sachsen), Antidiskriminierungsstellen oder externe Fachkräfte einbeziehen.
  • Nachbereitung: Thematisierung von Antisemitismus, Diskriminierung und Verantwortung.
  • Prävention: Fortbildung für die Schule: Beratung und Fortbildung von Lehrkräften
Cover der Fallbeispielsammlung mit dem Titel "Herausforderungen politischer Bildung und pädagogischen Handelns an sächsischen Schulen"

Fallbeispielsammlung 

zu Herausforderungen politischer Bildung und pädagogischen Handelns an sächsischen Schulen

Körperliche Übergriffe, Drohungen, antisemitische Parolen oder Symbole können strafrechtlich relevant sein. Schulen sind verpflichtet, solche Vorfälle zu dokumentieren und ggf. Anzeige zu erstatten (§ 138 StGB – Nichtanzeige geplanter Straftaten kann selbst relevant sein). Neben der Polizei kann auch eine Beratungsstelle wie OFEK e.V. oder eine Landesstelle gegen Diskriminierung kontaktiert werden. Pädagogische Aufarbeitung und juristische Schritte schließen sich nicht aus, sondern ergänzen sich.